Am 10. September erscheint der Tod des Philosphen, der Kriminalroman um Schreibmaschine Athene.
Hier schon mal eine Leseprobe:
1. Teil
DER DOKTOR
NAME DES TOTEN: JANUS LILIENSTEIN
Die Finger des Doktors hämmerten auf die Tasten der alten
Schreibmaschine, deren Hebel mit jedem Anschlag mehr zu ächzen schienen.
TODESURSACHE: HERZVERSAGEN, NATÜRLICHER TOD, KEINE FREMDEINWIRKUNG
Er lehnte sich in dem kühlen Ledersessel zurück und
fixierte das Porträt des Verstorbenen, das über der Eingangstür hing. Seine
Pupillen lieferten sich mit den durchdringenden Augen seines Gegenübers ein
ungleiches Kräftemessen, das der Doktor schließlich mit einem Wimpernschlag beendete.
„Ja, das war´s dann wohl, alter Junge. Du hattest ein
langes Leben, und das ist nun zu Ende. Du warst bei allen beliebt, oder zumindest
geachtet. Da kommt nur ein natürlicher Tod infrage – im eigenen Bett friedlich
entschlafen.“
WOHNORT: ...
Der Arzt ließ seine Blicke über die Reihen lederner
Buchrücken schweifen, die sich bis zur Decke erstreckten und im Sonnenlicht
golden schimmerten.
„Hier hast du unzählige Stunden verbracht. Deine papierenen
Weggefährten verharren noch immer auf deinem Schreibtisch aus wohlpoliertem Eichenholz.
Shakespeares Hamlet und Macbeth, deine Lieblingsdramen. Und natürlich der alte
Platon.“
Er nahm das Buch des griechischen Philosophen zur Hand
und öffnete es an der eingemerkten Stelle: „Der Mensch ist das Maß
aller Dinge. Ja, das war dein
Herzenssatz, dein Lebensmotto, könnte man sagen.“
Er füllte die restlichen Zeilen des Fragebogens aus, dann
drehte er an der Walze der Schreibmaschine, die knirschend das Formular freigab.
„Ja, der Totenschein
deines Herrn und Meisters war wohl dein
letzter Auftrag. Gestern noch sein behüteter und wohlgepflegter Augapfel,
morgen schon einer ungewissen Zukunft entgegen. Mechanische Schreibgeräte
sind ein Luxus der Alten, die an der Vergangenheit hängen. Jetzt wird
deine Zeit bald abgelaufen sein, so
wie die Seine. Und auch meine Mission hier ist schon fast beendet.“
Er unterschrieb das Formular, packte es in seine
abgegriffene Arzttasche und ließ die rostige Schnalle zuschnappen.
Dann erhob er sich und ließ seine Finger wie zum Abschied
über die abgeschabten Tasten der Schreibmaschine gleiten.
„Vergiss nie den Satz, den Hamlets treuer Weggefährte
sagte:
Der Rest ist
Schweigen.“
ATHENE
Ich konnte es nicht glauben. Es war, als
wäre ich in ein tiefes, schwarzes
Loch gefallen. Dunkelheit umgab mich, hielt mich gefangen, ohne Aussicht,
jemals wieder das Licht der Sonne zu erblicken.
Düsternis beherrschte
mein Denken. Warum bist du von mir
gegangen, hast mich verlassen, im Stich gelassen, auf dieser Welt allein
zurückgelassen?
Ohne dich bin ich nichts, habe keine Identität, keine Aufgabe,
keinen Sinn. Du warst der wichtigste Teil meines Seins, was bin ich ohne dich?
Nur eine leere Hülle ohne eigenes Leben ...
Du warst für mich der wundervollste Mensch, deine Gedanken
ein Quell der Erfüllung meiner einsamen Tage.
Ich war hin und her gerissen zwischen kalter,
dumpfer Trauer und heißer, stechender
Wut.
Trauer über Janus` Weggang und Wut über
den Doktor, über sein Reden und sein Tun –
oder besser gesagt Nicht-Tun.
Keine Fremdeinwirkung. Wenn es nicht so tragisch wäre, müsste
ich lachen. Herzversagen? Du warst kerngesund,
nichts deutete darauf hin. Und ihm genügte sicherlich ein kurzer Blick auf
dich. Nur nicht zu viel nachdenken, das war schon immer seine Devise.
Und wie er von deinen Büchern gesprochen hat, der Unwissende.
Für ihn waren sie nur beschriebene Blätter in einem Einband, die er zwar gerne
mal las, jedoch ohne den Sinn dahinter zu verstehen.
Wie anders bist du gewesen. Nie werde ich die Stunden
vergessen, die wir beide zusammen mit ihnen verbracht haben. Du hast mir mit
deinen erfahrenen Händen ihre Bedeutung erklärt. Wie ich deine gefühlvollen
Berührungen geliebt habe.
Sie waren nicht wie die knochigen Finger des Doktors, die
mir immer einen eiskalten Schauer
einjagten. Für ihn war ich
eine unter vielen, für dich dagegen,
wie du so oft sagtest, deine Muse. Ich hatte die Ehre, an deinen Ideen
teilzuhaben und sie auf Papier zu bannen.
Du gabst mir einen Namen, der mich von all den anderen
abhebt: Athene, die Göttin der Weisheit.
Aber nicht nur Hüterin der Weisheit, sondern auch
kämpferische Beschützerin der Stadt Athen und des Odysseus auf dessen Fahrten.
Anders als meine große Namenspatin kann ich dich nicht mehr
sicher nach Hause bringen, zu früh wurdest du mir entrissen. Aber ich kann
zumindest versuchen, die Umstände deines Todes aufzuklären, wenn es schon sonst
niemand tut.
Denn an einen schnöden Herzinfarkt vermag ich nicht zu glauben.
Wie
der Doktor zu Recht erkannte,
warst du ein geachteter Mann.
Aber du hattest auch Gegner, die deine Worte und Taten
nicht verstanden. Einige hatten dich beschimpft, sogar bedroht, aber du bist
nie zur Polizei gegangen. Für dich war all dies nur eine Ausgeburt an Dummheit,
die sich am Ende selbst vernichtet.
Und deine Philosophie war einleuchtend:
„Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“
Er gibt ihnen einen Namen und legt ihre Eigenschaften fest.
Jeder Mensch hat hierbei eine unterschiedliche Sichtweise, je
nachdem, wie es sein geistiger Horizont
erlaubt.
Ich bin dafür das beste Beispiel:
Für dich war ich Athene, deine Muse, die Schreiberin deiner
Ideen – für den Doktor bin ich nur eine ganz gewöhnliche, alte Schreibmaschine.
DIE LEICHENBESTATTER
„So, das wäre geschafft! Nun noch
den Deckel zu und ab zur letzten Ruhe.“
Die beiden Mitarbeiter
der Bestattungsfirma Wurm und Söhne trugen
den Transportsarg vorsichtig die Treppen hinunter.
„Jetzt hat es also den Alten auch erwischt. War ja nicht
das erste Mal, dass wir bei den Liliensteins zu tun hatten.“
„Mensch Paul, Junge, hüte deine Zunge! In diesen alten
Häusern haben die Wände Ohren. Wir tun hier nur unsre Arbeit, ein Kommentar
steht uns nicht zu.“
„Hast ja Recht, Gerd. Wir sind nur für den Abtransport
zuständig. Alles andere liegt in der Hand von Sohn und Witwe.“
„Genau! Und nun lass uns schnell machen, damit er bald in
die Kühlung kommt.“
ATHENE
Das war´s dann also. Sargdeckel zu, unter die Erde und
fertig.
Das erinnerte mich daran, wie Shakespeare seinen Hamlet
den Totengräber fragen ließ: ‚Wie lange liegt wohl einer in der Erde, eh‘ er verfault?‘
Und dieser antwortete
dem Dänenprinzen: ‚Mein‘ Treu‘, wenn er nicht schon vor dem Tode verfault ist, so dauert er Euch ein
acht bis neun Jahr aus.‘
Nun wirst auch du, mein Janus, in der ewigen Dunkelheit begraben
liegen, als Ansprache nur die Würmer und ohne Gewissheit um die Ursache deines
Todes.
Der Rest ist
Schweigen. Nein,
das konnte – das durfte ich nicht zulassen.
Wenn ich nur nicht an diesen Ort gefesselt wäre. Ironie des Schicksals,
dass mir der Platz, der für mich zu Janus` Lebzeiten ein sicherer Hafen
geistiger Experimente war, jetzt wie ein Gefängnis vorkam, das mich zur
Untätigkeit verdammte.
Oder, wie Richard III. sagte:
‚Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd.‘
Doch was ist das schon wieder für ein Lärm? Ist mir nicht
einmal für kurze Zeit etwas Ruhe zum Nachdenken vergönnt?
Natürlich, die Haushälterin Mathilde mit dem Staubsauger.
Die hatte noch nie gewusst, wann sie stört. Kam immer
hereingeplatzt, wenn wir beim Arbeiten waren. Janus nutzte die Gelegenheit für
seinen täglichen Spaziergang ... und mir blieb nichts weiter übrig, als mich
mit der Gegenwart ihres lästigen Gehilfen abzufinden.
Es war ja nicht allein das Saugen. Nein, oft ließ sie ihn
für eine, manchmal auch zwei Stunden stehen.
Und ich war dann dem aufdringlichen Geschwätz dieses
Plapperbeutels ausgesetzt. Ständig wollte er wissen, was ich gerade schrieb –
als ob er das auch nur ansatzweise verstanden hätte. Oder er erzählte mir
irgendeinen Klatsch und Tratsch, der sich im Haus verbreitet wie die Seuche im
Lande.
Und nun war es so weit.
Das Kratzen der Saugdüse an der Tür, diese wurde aufgestoßen und schon begann
die Störung. Wo ich doch die Zeit zum Nachdenken bräuchte ... Aber Moment,
hier bringt das Problem zugleich die Lösung! Warum
sich nicht die Neugier des Staubsaugers zunutze machen? Soll er doch die
Nachforschungen anstellen, die ich allein nicht bewerkstelligen kann.
Mit verbissenem
Gesicht führte Mathilde den Rüssel des Saugers in die hintersten Ecken, an Leisten und Regalbrettern entlang.
Ihr tägliches Ritual, an dem auch Janus` Tod
nichts zu ändern vermochte. Endlich war sie fertig, schaltete ihn aus
und eilte aus dem Raum. Dann werde ich
mir jetzt meinen Assistenten verpflichten.
„Hallo Sauger, was gibt´s Neues?“
Nanu, keine Antwort.
„Sauger! Hörst du mich?“
Warum bloß schweigt der alte Laberbeutel?
„Sauger, ich spreche mit dir! Also mach dir bitte die
Mühe, zu antworten.“
Vielleicht ist er wegen der jüngsten Ereignisse verstummt.
„Nun gut, Sauger, dann hör mir wenigstens zu, wenn du
schon nicht mit mir redest. Du könntest etwas für mich tun. Wie du bestimmt mitbekommen hast, ist Janus gestorben. Mich würde interessieren, was im Hause so darüber gesprochen wird. Du hast ja bekanntlich deine Hörorgane überall,
also nutze sie freundlicherweise dazu, mir diesbezüglich Nachricht zu bringen.
Du bist doch sonst so redselig. Jetzt könntest du damit von großem Nutzen sein.
– Du schweigst? – Sag mal Sauger, warum bist du eigentlich so bockig?“
In diesem Moment kam Mathilde in die Bibliothek zurück.
Die hatte sich aber beeilt. Gerade, wenn man einmal lange Pausen brauchen könnte,
nahm sie den Sauger gleich wieder mit. Ob
das das Ende meines genialen Planes ist?
DER STAUBSAUGER
Das Gebläse des
Staubsaugers rotierte. Jetzt ist die
Tippse wohl komplett übergeschnappt! Erst behandelte sie ihn jahrelang wie
Dreck. Und auf einmal sollte er für sie springen? Die konnte schön selber
sehen, wie sie an ihre Informationen kam!
Vollkommen in Gedanken versunken beobachtete
er die Haushälterin, die das Bett von
Janus abzog.
Ja, Schreibmaschine, es dreht sich nicht alles nur um dich.
Aber
was war das? Warum stopfte Mathilde das Laken des Alten in einen großen
Plastiksack? Und seinen Schlafanzug hinterher? Jetzt machte sie den Kleiderschrank
auf und entsorgte seine Anzüge und Hemden? Was murmelte sie da?
„Nur endlich weg mit dem Zeug, das ist ja alles mindestens
dreißig Jahre alt und schon lang nicht mehr modern.“
Entsetzt verfolgte der Sauger die Aktion. Und was ist mit mir? Mit einem Mal
spürte er den Rost, der sich in seine Schrauben fraß. Er erinnerte sich
schmerzhaft an jeden Kratzer, den der Lack seines Gehäuses bekommen hatte.
Selbst sein Beutel war nicht mehr so
dicht wie früher. Was, wenn auch ich weggeworfen
werde?
Zwischenzeitlich hatte Mathilde das Ausräumen beendet und
stapfte auf den Sauger zu. Der wäre am liebsten zurückgewichen. Bin jetzt ich an der Reihe? Ihre kräftige
Rechte umfasste seinen Schlauch, die Linke drückte den Einschaltknopf.
Der Sauger bemühte
sich, nur ja nicht anders zu klingen als sonst. Ruhig durchatmen! Einfach so tun, als ob nichts wäre. Lautlos zittern.
Leichter gedacht, als getan.
Endlich bei der Besenkammer angekommen, stellte die Haushälterin ihn auf seinen
angestammten Platz und schloss die
Tür. Fürs Erste war die Gefahr
gebannt. Er lauschte dem leiser werdenden Geräusch seines Ventilators. Das hatte auf ihn immer eine beruhigende Wirkung. Doch
eines war ihm bewusst geworden:
Allein kam er nicht klar. Er brauchte jemanden, der gute Ideen hatte. Der ihn
vor dem Verschrotten retten konnte. Wenn er sich´s genau überlegte, ging es
ihm dabei nicht anders als der
Schreibmaschine. Auch sie war ein altes Modell. Und ihr Herr und Meister konnte sie nicht mehr beschützen. Das war bestimmt der Grund für ihre plötzliche Gesprächigkeit und ihr Interesse an seinen Erzählungen. Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ich mich mit
ihr zusammentue.
ATHENE
Das war eine Nacht. Ich wusste
gar nicht, dass man während des Schlafens Bilder sehen kann. Das müssen die
Träume gewesen sein, von denen Janus so oft gesprochen hatte. Keine schönen in
meinem Fall. Mein Körper lag unter einer dicken Staubschicht in einem alten
Kellerregal, im hintersten Eck zwischen abgetragenen Schuhen und vermoderten
Decken. Vergessen, zur ewigen Nutzlosigkeit verdammt.
Den ganzen Vormittag
hatte ich mir das Hirn nach einem Ausweg zermartert. Was mach ich nur, wenn der
Staubsauger nicht mitspielt? Aber genug
der trüben Gedanken! Ich glaube, ich
höre Mathilde mit ihrem Gehilfen nahen.
„Hallo Sauger, na, heute etwas gesprächiger?“, versuchte
ich, die Unterhaltung in Gang zu bekommen.
„Hallo Schreibmaschine.“
Na gut, wenigstens ist ein Anfang gemacht, er hat eine
Reaktion gezeigt.
„Und? Hast du dir mein Ansinnen durch den Kopf gehen
lassen? Bist du bereit, mir zu helfen und mir etwas über die Ereignisse im Haus
zu berichten?“
„Erstaunlich. Plötzlich braucht
mich die gnädige Frau. Früher war ich ihr nicht einmal
gut genug für ein kleines Gespräch. Und jetzt soll ich für sie die Leute aushorchen.
Ist das nicht ein etwas gewagtes Ansinnen?“
Aha, daher weht der Wind. Der Staubsauger
schmollte, weil mir die Zeit gefehlt hatte, seinen Ergüssen zu lauschen.
„Hör mal zu, Sauger. Janus hatte mich mit mannigfaltigen
Aufgaben bedacht. Da schwirrten mir die Tasten und ich war froh, wenn ich etwas
Ruhe bekam.“
„Oh, bitte! Keine billigen Ausflüchte. Das klang damals
ganz anders. Da musste ich mir immer
deinen komischen lateinischen Satz anhören. Störe
meine Kreise nicht! Die Wahrheit ist, dass du dich für was Besseres hältst.
Du Archimedes zitierende Privatsekretärin.“
„Na erlaube mal! Es bleibt natürlich nicht aus, dass man
die Sprache dessen annimmt, dessen Wörter tagtäglich durch die eigenen Tasten
gleiten.“
„Nein. So einfach kommst du mir nicht davon! Du willst
etwas von mir. Dann behandle mich nicht so von oben herab!“
Bei Zeus, das ist ja schwieriger, als ich vermutet hatte. Der Sauger schien ein
ganz schön selbstbewusstes Kerlchen zu sein. Doch mir blieb in meiner momentanen
Situation nichts anderes übrig, als
auf seine Forderungen einzugehen.
„Und wie stellst du dir das genau vor, Sauger?“
„Nenn mich nicht immer Sauger.“
„Aber das ist die Bezeichnung, die auf deinem Rücken
steht. Sauger Staubweg Extra 793.
Soll ich dich also künftig bei deinem vollen Namen nennen?“
„Nein. Das ist doch kein richtiger Name! So nannten
sie mich und meine Geschwister in der Fabrik. Ich will einen richtigen
Namen! So wie du. Ich habe gehört, dass der Alte dich Athene nannte. Und das
hatte mit deinem Fabriknamen nichts zu tun.“
„Und was für einen
Namen hast du dir für dich ausgesucht?“ Der
Sauger verstummte. Aha, erst einen Namen
wollen und dann nicht wissen,
welchen! Andrerseits, auch ich hatte mir meinen ja nicht selbst ausgedacht,
sondern ihn von Janus erhalten. Dann will ich mal nicht so sein.
„Nun, ich habe von Janus den Namen Athene bekommen, weil
er mich für sehr weise hielt. Und weil ich für ihn die Bewahrerin seiner Gedanken
war.“
„Also werden die Namen nach Aufgaben verteilt? Und
welcher wäre da für mich der Richtige?“
„Nun, du sollst mein Verbindungsmann nach draußen sein.
Deshalb würden mir entweder Hermes oder Merkur in den Sinn kommen.“
„Das ist schwierig. Mir gefallen beide. Aber Hermes
Merkur oder Merkur Hermes klingt blöd. Da muss ich mich wohl für einen entscheiden.“
„Wenn ich dir einen Rat geben darf, nimm Merkur. So hast du nicht nur den Götterboten in
deinem Namen, sondern auch noch
einen strahlenden Planeten.“
Für einen kurzen Augenblick schien der Sauger im gleichen
Glanze zu erglühen, wie sein die
Sonne umkreisender Namensvetter.
Dann
kam Mathilde und beendete unser Gespräch.
Also mussten die weiteren Planungen
bis morgen warten. Aber wenigstens werde
ich heute Nacht wohl keine Albträume mehr haben.
MERKUR
Nachdem Merkur mit seiner Runde
fertig war, stand er mit stolz geschwelltem Bürstenkopf in der Besenkammer und
ließ den Tag Revue passieren.
Was man doch alles erreichen kann, wenn man sich traut, aus
seinem Beutel herauszukommen und ...
Plötzlich drang Licht durch den Spalt unter der Tür. Merkur schob seine Gedanken beiseite
und versuchte herauszufinden, was im Flur vor sich ging. Zwar war es ihm
unmöglich etwas zu erkennen, dafür war die Lücke zwischen Tür und Boden zu
schmal. Aber wofür hatte er seine superfeine Staubsaugernase, mit der er
mühelos das kleinste Staubkorn finden konnte? Der Gestank, der langsam in die
Kammer kroch, war unverkennbar: Der Doktor war an der Tür vorbeigegangen und
mit ihm die charakteristische Wolke von
Aftershave, das den beißenden Geruch der Desinfektionsmittel überdecken sollte.
Merkur wunderte sich. Den Arzt hatte er noch nie hier
unten gesehen. Und im Keller wohnte auch niemand, der krank sein könnte. Das
musste er morgen gleich Athene mitteilen.
Während er seinen Gedanken nachhing, hörte er die
Schritte des Doktors. Dieser schien mit seinen Machenschaften fertig
zu sein. Doch dann wurde das leise Gehen von einem Rumpeln und Schleifen abgelöst. Es klang, als ob irgendetwas Schweres den Boden entlang gezogen wurde.
Jetzt drang ein seltsames Stampfen, das von Mal zu Mal leiser wurde, in
die Besenkammer. Der Arzt schleppte offenbar etwas die Treppen hinauf. Das Licht ging aus.
Er würde wohl nicht mehr
wieder kommen. Was hatte das zu bedeuten?
DER DOKTOR
... Schriften mit zweifelhaftem Inhalt, geeignet, die
öffentliche Meinung zu verwirren und zu beunruhigen. Deshalb anzuraten, diese
sicher zu verwahren und nur eingeschränkt zugänglich zu machen.
Der Doktor starrte mit müden Augen auf das Papier, auf
dessen Kopfzeile in vergoldeten Lettern Halle
des freien Denkens und der wagemutigen Wissenschaften zu lesen stand. Um
ihn herum Stapel von Dokumenten und Büchern, die meisten von ihnen mit
abgegriffenen Ecken, die Blätter vergilbt. Die Buchstaben waren oft schon
ausgeblichen, sodass man sie nur mit Mühe entziffern konnte.
Jetzt hab ich euch Kellerkinder endlich bei mir. Lange genug
hat er euch versteckt! Nicht, dass ihr mit dem anderen Krempel am Ende noch auf
dem Sperrmüll oder bei irgendeinem Flohmarkt gelandet wäret. Das wäre doch ein
Frevel, die Mühen jahrzehntelanger Arbeit, auf die er so stolz war, den Würmern
preiszugeben. Bei mir seid ihr gut aufgehoben, könnt keinen Schaden anrichten
und vielleicht auch noch von Nutzen sein.
MERKUR
Am nächsten Morgen erwachte
Merkur nach unruhigem Schlaf. Der Doktor und seine Aktivitäten waren ihm die
ganze Nacht nicht aus dem Kopf gegangen.
Wenn nur Mathilde endlich käme und ihn aus der Besenkammer
holte. Dann könnte er beim Saugen gleich noch Spuren suchen.
Schließlich wurde sein Wunsch erhört. Seine tägliche
Saugtour konnte beginnen.
Während Mathilde Merkurs Bürste wie ein Minensuchgerät
über den Boden führte, spürte dieser auf einmal ein Kitzeln in seinem
Saugrüssel. Etwas hatte sich verklemmt. Sein Ventilator rotierte surrend bei
dem Versuch, das Eingesaugte herauszubekommen. Vergeblich.
Jetzt schien auch Mathilde seine
Nöte wahrgenommen zu
haben. Sie schaltete ihn aus und begann, energisch seinen
Schlauch zu schütteln.
„Halt, nicht so heftig, da wird mir ja schwindlig!“,
protestierte er, aber die Haushälterin konnte ihn natürlich nicht hören.
„Hatschi!“ Ein
gräulicher Klumpen flog aus seinem Rüssel. Merkur atmete erleichtert auf. Was
war das nur für ein komisches Zeug? Das musste er sich unbedingt näher ansehen.
ATHENE
Und wieder ein einsamer Morgen
ohne Janus. Es war zwar oft anstrengend mit ihm gewesen, aber die Stunden, die
ich für ihn seine Gedanken aufgeschrieben habe, fehlten mir schon sehr.
Wo Merkur nur blieb? Der war doch sonst um die Zeit immer
schon da. Er würde wohl noch nichts Neues wissen, aber wenigstens könnte ich
ihm dann erklären, was seine Aufgabe sein würde. Na endlich, ich glaube, ich höre ihn.
„Guten Tag Merkur, du bist ja ziemlich spät dran. Hat
Mathilde etwa verschlafen?“
„Wenn du wüsstest, was ich heut schon alles erlebt habe.
Das war vielleicht ein ... Hatschi!“
„Gesundheit.“
„Danke. So geht das schon den ganzen Vormittag. Ich habe
den Keller gesaugt. Da lagen massenweise kleine Stücke von Kartons und Klebeband
herum. Das Zeug kitzelt vielleicht in der Nase.“
„Kartonteilchen und Klebeband? Wie kommt denn das dahin?“
Merkur erzählte mir ausführlich, was er gestern Nacht
beobachtet hatte.
„Hast du sonst irgendetwas gesehen oder gehört?“, fragte
ich anschließend.
„Nun ja. Heute früh habe ich im Teppich Spuren bemerkt.
Als ob er gegen den Strich gekämmt worden wäre. Und die Kartons, die immer im
Kellerregal gestanden sind, waren über den ganzen Boden verteilt.
„Konntest du erkennen, was drin war?“
„Leider nicht. Sie waren alle verschlossen. Der Doktor
muss sie aber aufgemacht haben. Sie waren zum Teil nicht mehr mit braunem
Klebeband zugeklebt, sondern mit grauem. Die Rolle lag sogar noch auf dem
Boden.“
„Merkur, ich muss schon sagen, du bist ein ausgesprochen
guter Beobachter!“
Täuschten mich meine Augen, oder sah ich gerade einen
Staubsauger erröten?
„Nun müssen wir nur noch herauskriegen, was der Doktor da
unten gesucht hat.“
„Und wie er überhaupt hereingekommen ist“, ergänzte ich.
„Denn die Türklingel habe ich nicht gehört. Und die ist
ziemlich laut.“
„Soweit ich weiß, hatte Janus` zweite Frau Andromeda ihm
den Schlüssel gegeben. Falls mal etwas sein sollte. Das hat mir jedenfalls das
Schlüsselbrett erzählt.“
„Und wie hat Mathilde reagiert, als sie das Chaos da
unten gesehen hat?“
„Sie hat natürlich beim Aufräumen vor sich hin
geschimpft. Sie schien aber nicht überrascht zu sein.“
„Dann muss sie wohl vom abendlichen Besuch des Doktors
gewusst haben.“
„Das glaube ich
auch. Überraschungen erschrecken sie immer ganz gewaltig. Ich erinnere
mich noch gut. Einmal hatte Janus einen
alten Mantel in den Keller gehängt. Da hat sie mich vor Schreck fast erwürgt. Sie hat dann jeden Winkel im Haus
kontrolliert. Ob nicht ein Einbrecher da gewesen ist.“
Das waren ganz
schön viele Neuigkeiten
für einen erst so ereignislosen Tag.
Merkur schien das Gleiche zu denken wie ich. „Irgendwie
ist das ein ziemliches Durcheinander“, stöhnte er.
„Allerdings. Und deshalb brauchen wir weitere Informationen.
Und da kommst du ins Spiel.“
„Was soll ich tun?“
„Wie bisher Augen und Ohren offen halten und die
Gegenstände vorsichtig ausfragen, ob sie etwas bemerkt haben. Aber bitte nicht
mit der Tür ins Haus fallen! Lass sie einfach erzählen und stelle zwischendurch
Fragen. Ich halte es nämlich für zu früh, dass wir irgendjemanden in unsere
Ermittlungen einweihen. Nicht, dass wir womöglich absichtlich auf eine falsche
Fährte geführt werden.“
„Stimmt. Man kann nie wissen, wer darin verwickelt ist.
Und was machst du in der Zwischenzeit?“
Die Frage saß. Damit hatte Merkur, vielleicht sogar, ohne
es zu wollen, meinen wunden Punkt getroffen. Was konnte ich machen, außer auf
seine Berichte warten? Ich kam ja hier nicht raus. Allerdings ...
„Ich werde mal die Bibliothek genau in Augenschein
nehmen. Ich kann nämlich sehr gut sehen – und Bücherrücken verraten oft
einiges. Schließlich war in den letzten Tagen viel los und da kann es schon
sein, dass das eine oder andere Buch umgestellt worden ist. Denn auch der Doktor
war öfters da, und wer weiß, was er außer dem Karton sonst noch so alles mitgenommen
hat.“
„Aber das würde ja heißen, dass du in deinem Reich etwas
nicht mitbekommen hast ...“
Mathilde, die gerade hereinkam,
ersparte mir eine Antwort auf Merkurs letzte Bemerkung. Eine Frage übrigens,
die ich mir selbst während der vergangenen Tage
immer wieder gestellt hatte: Habe ich etwas übersehen, das für den Fall wichtig ist?
JUSTUS
Sehr geehrter Herr Justus Lilienstein,
Wie Sie sicher schon wissen, ist Ihr Vater, Herr Professor
Janus Lilienstein, am letzten Dienstag verstorben. Da bisher kein weiteres
Testament bekannt ist, sind Sie, zusammen mit Frau Andromeda Lilienstein, der
zweiten Ehefrau des Verstorbenen, jeweils Erben zur Hälfte.
Ferner erhält die Stiftung des freien Denkens und der wagemutigen
Wissenschaften als Vermächtnis das Haus
des Verstorbenen in Rom, Via Gino Cappone.
Wir weisen Sie hiermit darauf hin, dass Sie, sollten Ihnen
weitere letztwillige Verfügungen bekannt sein oder werden, verpflichtet sind,
diese unverzüglich dem Nachlassgericht vorzulegen. Falls Sie einen Erbschein
benötigen, bitten wir ebenfalls um Mitteilung.
Gezeichnet Gernot Berg, Notar.
Fassungslos starrte Justus auf den Brief.
Das kann doch nicht wahr sein! Er hatte mir versprochen, es
zu ändern! Das ist einfach nicht fair, dass es nicht mehr dazu gekommen ist.
Nicht nach all dem, was passiert ist.
Er legte den Kopf in seine Hände und verharrte einige
Minuten lang regungslos. Dann richtete er sich auf und fing an, in seinem
Telefonbuch zu blättern. Als er gefunden hatte, wonach er suchte, begann er,
eine Nummer in das Telefon einzutippen.
MERKUR
Kaum hatte er den letzten Satz zu
Athene gesagt, tat es ihm schon leid. Immerhin hatte sich ihr Verhalten ihm
gegenüber sehr gebessert. Alles wissen konnte sie wirklich nicht. Und auf
jemanden einzutreten, der gerade gefühlsmäßig am Boden lag, war normalerweise
nicht seine Art.
Er beschloss, zukünftig besonders eifrig zu arbeiten, um
das Gesagte wieder wettzumachen.
Als er von Mathilde in die Ankleide von Janus` Witwe
gebracht und nach der üblichen Saugrunde dort stehen gelassen wurde, sah er
seine Chance gekommen.
Doch mit wem sollte er anfangen? Kleider und Mäntel waren
immer so zugeknöpft. Parfumfläschchen hatten eine zu kurze Lebensdauer. Sein
Blick fiel auf den großen Spiegel. Der sah und hörte alles, was hier vorging.
Merkur fand es zwar befremdlich, sich selbst beim Reden zu sehen. Aber da
musste er jetzt durch.
Im beiläufigen Plauderton begann er:
„Guten Morgen Spiegel. Was gibt´s Neues?“
„Oh, nicht allzu viel liev. Die Leute blicken mich an und
ich werfe ihnen ihre Blicke zurück kcüruz.“
„Dann hast du noch gar nicht von der Sache mit Janus
gehört?“
„Doch hcoD. Ich habe davon gehört tröheg. Dass es
irgendwann dazu kommen würde edrüw, war ja nur zu klar ralk.“
Merkur bemühte sich, freundlich zu bleiben. Einerseits
nervten ihn die ständigen Wort-Spiegeleien. Andererseits musste er unbedingt
herausfinden, was für den Spiegel so klar war. Mit betont ruhiger Stimme fragte
er weiter:
„Was war deiner Meinung nach klar?“
„Dass Janus bald ermordet werden würde edrüw.“
„Ermordet? Von wem?“
„Natürlich von Justus sutsuJ. Seinem Sohn nhoS.“
„Und woher weißt du das?“
„Von seiner Stiefmutter Andromeda ademordnA.“ Jetzt war
Merkur völlig perplex.
„Justus ein Mörder? Aber warum denn?“
„Aber warum denn nned?“, äffte ihn der Spiegel nach. „Ist
das nicht absolut eindeutig gituednie? Er wollte nicht mehr abwarten netrawba,
bis der Alte von selbst stirbt und hat das Ganze beschleunigt tginuelhcseb.“
„Und was hat er davon?“
„Was er davon hat tah? Er ist als Sohn doch der Erbe von
Janus sunaJ!“
Merkur war fassungslos. Das war ein Motiv. Geldgier. Aber irgendwie konnte er es nicht glauben.
Der eigene Sohn!
Während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, wurde er
von Mathilde auch schon weitergezogen.
– Ende der Leseprobe –
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